Aktuelles zum Impffortschritt und der mühsamen Gesamtsituation

Dr. med. Dr. med. univ bud. Max-Joseph Kraus M.Sc.

Wir sind sehr dankbar, dass wir aufgrund der großartigen kollegialen Kooperation am Ort und der herausragenden Arbeit des Impfzentrum jetzt zumindest zeitnah unsere Hochrisiko-Patienten der Prioritätsgruppen 1 und 2 geimpft bekommen.

Die politischen Entscheidungsfindungen sind mir aber zunehmend unverständlich. Zwei Tage vor Beginn der Impfkampagne in den Hausarztpraxen war ja der Text der Coronaimpfverordnung von dem ursprünglich geplanten “alle Hausärzte” auf “alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztpraxen” geändert worden (§6 Abs 1, Abschnitt 2 CoronaImpfV). Kurz vor Ostern wurde es in einer Videokonferenz zwischen Bundesgesundheitsminister Spahn und dem Apothekerverband zur strafbaren Ordnungswidrigkeit erklärt, wenn Apotheken Impfstoff an privatärztlich niedergelassene Ärzte liefern. Ich hatte mir das eingangs noch mit dem Impfstoffmangel erklären können. Jetzt werde ich aber zunehmend von Patienten informiert, dass sie von ihrem Kardiologen, Chirurgen, HNO-Arzt oder Neurologen geimpft worden sind. Offenbar bekommen auch Kinderärzte den Impfstoff geliefert. Einzig Cominarty ist ab 16 Jahre zugelassen, ein Alter wo man nur noch selten beim Kinderarzt behandelt wird. Was soll das bedeuten?

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Ich bin unbedingt dafür, dass möglichst viele Ärzte möglichst viele Patienten möglichst schnell impfen. Die Tatsache aber, dass Ärzte, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, kategorisch von der Belieferung mit Impfstoffen ausgeschlossen werden, empfinde ich als einen Skandal und eine unzulässige Diskriminierung! Selbstverständlich beißt man bei allen zuständigen Stellen (KVB, KBV, Gesundheitsministerium, Impfzentrum) auf Granit: “ja, wir verstehen, wir finden das auch falsch, wir können aber nichts machen, es steht ja im Gesetz…” Freilich sind bereits diesbezüglich eine Verfassungsklage und eine Klage vor dem Verwaltungsgericht anhängig. Ich erwarte aber nicht, dass hier eine schnelle Lösung gefunden werden wird. Vom privatärztlichen Bundesverband kommen vorsichtige Signale, dass eine Lösung in Sicht ist. Tatsächlich entzündet sich die ganze Problematik ja überhaupt nicht an mangelndem Impfstoff oder Sachkompetenz oder anderen sachlichen Argumenten, sondern einzig an der einheitlichen Schnittstelle zur Dokumentation der durchgeführten Impfungen, die zur Zeit im Netz der kassenärztlichen Vereinigung angesiedelt ist. Oh Mann.

Wir versuchen das Beste aus dieser schwierigen Situationen zu machen und unterstützen unsere Patienten der Priorisierungsgruppen 1 und 2 mit allen Kräften, schnellstmöglich einen Impftermin wo auch immer zu finden. Parallel bereiten wir die schnellstmögliche Impfung der Gruppen 3 und 4 weiter vor. Es bestätigt sich aber leider auch in dieser Situation wieder, was sich im vergangenen Jahr bereits vielfach gezeigt hat: das Bundesgesundheitsministerium und insbesondere Bundesgesundheitsminister Spahn hat die Lage durch seine unbedachten Äußerungen, kurzfristigen Änderungen, unabgesprochenen Ankündigungen und unrealistischen Versprechen häufig eher erschwert als erleichtert. Die vielen unvermittelten Kehrtwendungen, das dauernde Hin- und Her bei den Inzidenz-Grenzwerten, das Versprechen von Tests ohne dass Test oder Abrechnungsregeln vorhanden waren: das hat uns alle anhaltend zermürbt. Jeder einzelne in unserem Team arbeitet seit über 12 Monaten weit über seiner Belastungsgrenze. Wir tun das gerne, weil wir wissen, dass wir uns mitten in der schlimmsten medizinischen Katastrophe der letzten 100 Jahre befinden. Und es ist selbstverständlich für uns, dass wir hier alles nur irgendwie machbare möglich machen. Von unseren politischen Vertreten fühle ich mich aber an vielen Stellen verraten und verkauft.

Nichtsdestotrotz bleibe ich optimistisch. Zumindest hier bei uns im Landkreis schreitet die Impfkampagne gut voran. Stand heute haben über 27 % der Landkreisbewohner über 16 Jahre mindestens eine Impfung gegen Covid-19 erhalten. Das ist doch schon mal was! Und in vielen Gesprächen mit meinen Patienten höre ich, dass sich die Menschen trotz (oder wegen?) der geradezu absurd zähen politischen Verhandlungen zu Notbremsen und Lockdowns von ganz allein gut an die sinnvollen Maßnahmen zur Kontaktreduktion halten. Ich bleibe – trotz der Sorge vor Mutanten und der anhaltend dramatischen internationalen Lage – zuversichtlich, dass wir nun nach nur wenigen weiteren Wochen des gesellschaftlichen Lockdowns voraussichtlich bis zu den Sommerferien zumindest hier im Kreis jedem ein Impfangebot gemacht haben können und sich damit die Situation deutlich entspannen wird. Ich hoffe sehr (und bezweifle das leider zugleich), dass wir als Gesellschaft dann nicht einfach ein “Zurück-zu-vor-Corona” suchen, sondern eine wirklich substantielle Verbesserung und Planeten-verträglichere Art zu leben.